Jürg Frick

Jürg Frick

Professor für Psychologie an der 

Pädagogischen Hochschule Zürich 

»Die Eltern haben mich möglicherweise ungerecht behandelt. Aber das heißt nicht, dass ich deswegen weniger wert bin«


Herr Professor Frick, meine Eltern haben meinem Bruder klar bevorzugt und ihm deutlich mehr vererbt. Wie gehe ich mit dieser Situation um? 

Es ist wichtig, dass man realisiert: Ja, das hat tatsächlich stattgefunden. Wenn man Personen im Umfeld hat, die eine Distanz zum Ganzen haben, die relativ objektiv sind, vielleicht Leute, die die eigenen Eltern sogar gekannt haben, kann es hilfreich sein, mit ihnen darüber ins Gespräch zu kommen. Warum war das so? Wie erklärst du dir das? Was bedeutet das? Ist die Situation gravierend, ist es sinnvoll mit Außenstehenden zu sprechen, mit einer Psychologin oder einem Psychologen. Da kann man das Geschehene leichter verarbeiten und klären: Was könnten die Motive der Eltern gewesen sein? Wie haben sie die Situation womöglich wahrgenommen? Das hilft, zu trennen: Die Eltern haben mich möglicherweise ungerecht behandelt. Aber das heißt nicht, dass ich deswegen weniger wert bin, sondern das hat Gründe, die außerhalb von mir selber liegen. Diesem Verhalten lag ein Problem zugrunde, das die Eltern mit sich hatten. Es hilft häufig, die Lebensgeschichte der Eltern noch einmal genauer anzuschauen. Nicht um deren Verhalten zu rechtfertigen, schönzureden oder das Vorgefallene zu negieren, sondern um zu verstehen, wo die Eltern herkommen, in welcher Zeit sie groß wurden. Standen sie vielleicht finanziell unter Druck? Gab es traumatische Erfahrungen? Welche Rolle hatten sie in ihrer Herkunftsfamilie? Auf diese Weise kann man erkennen: Das war die Situation meiner Eltern. Aber das hat nichts mit mir als Person zu tun. Wenn man das Geschehene zumindest verstehen kann – man muss es deshalb ja nicht gutheißen –, kann man sich ein Stück weit davon distanzieren. Dann ist der Groll geringer und die Lebensqualität steigt.

 

Das ganze Interview mit Jürg Frick finden Sie in unserem Buch:

Zur Person

Jürg Frick (Jg. 1956) ist schweizerischer Psychologe. Er berät seit vielen Jahren in eigener Praxis, seit 2003 ist er Professor an der Pädagogischen Hochschule Zürich, seit 2017 in freier Tätigkeit. Seine Arbeitsschwerpunkte sind u.a. Resilienz und Resilienzförderung, die Geschwisterbeziehung sowie Entwicklungspsychologie. Neben Beratung und Lehre ist er zudem Autor einer Vielzahl von psychologischen Fachbüchern, juergfrick.ch



Bücher:

„Ich mag dich, du nervst mich! Geschwister und ihre Bedeutung für das Leben“ (Hogrefe)

Die Beziehungen, die wir in Kindheit und im Erwachsenenalter zu unseren Geschwister pflegen, sind von zentraler Bedeutung für unsere Persönlichkeits- und Lebensstilentwicklung. Geschwisterbeziehungen können sehr beglückend sein, eine Stütze ein leben lang. Jürg Frick hat sich in diesem Buch jedoch auch den schwierigen Aspekten dieser besonderen Beziehung gewidmet: Bevorzugung, Eifersucht, Rivalität, festgefahrene Rollen und Eltern, die ihre ungelösten Konflikte an ihre Kinder weitergeben. Sehr hilfreich, um sich selbst und andere besser zu verstehen. Dem Autor beschreibt zudem, welche Möglichkeiten wir zur Neugestaltung von unseren Geschwisterbeziehungen haben sowie welche Langzeitauswirkungen das Verhältnis zu Bruder und Schwester in der Partnerschaft oder im Beruf haben. 

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